Ein zentrales Kennzeichen nahezu aller Kinder der damaligen Zeit waren die fehlenden Schuhe. Sie waren schlicht und einfach nicht leistbar. Erst ab den 50ern gab es billige Gummistiefel für Kinder zu kaufen. Wenn man alte Schulfotos ansieht, sticht es sofort ins Auge: Der Lehrer als Einziger in der Klasse mit schweren Schuhen, sog. „Goiserern“; die Kinder allesamt barfuß. Für viele Menschen heute ist es unfassbar. Dasselbe Bild bot sich im gesamten Leben des Dorfes, nahezu zu jeder Jahreszeit: Erwachsene mit Hüten und Wintermänteln im Spätherbst, daneben barfuß laufende Kinder. Das war damals normal, niemand dachte sich was dabei. Das Barfußlaufen wurde auch von der Schule gefördert, es diente der gesunden Abhärtung. Wer nicht barfuß lief, wurde gemobbt, er blieb Außenseiter. In einem Gesundheitsbuch, das meine Oma aufbewahrte, hieß es: „Kinder, wenn sie größer werden, IMMER barfuß nach draußen. Das ist gesund, macht frische Lungen und gutes Lernen. Schneeluft ist die reinste Luft. Die Kinder daher im Winter nicht zurück halten…“
Den meisten Buben machte das Barfußlaufen nichts aus, denn man bekam dabei Füße wie aus Hartgummi und konnte so am besten „schlieferzen“ (das Wort ist heute völlig unbekannt). Das war damals der einzige Wintersport außer Rodeln. (Skifahren war für uns Kinder Ende der 40er ein Sport aus einer fremden Welt). Für unkundige Zeitgenossen: „Schlieferzen“ bedeutet im Wesentlichen das wintersportliche Pendant zum Barfuß-Wasserski. Es dürfte überhaupt der älteste „Wintersportart“ sein. Schuhe eignen sich dafür nicht gut, außer sie wären völlig glatt. Man gleitet auf einer glatten Gras-, Holz-, Eis- oder Schneefläche auf den Füßen, am besten auf Raureif, bis man ausrutscht und auf den Hosenboden knallt. Manche Buben konnten das bergab über dutzende Meter mit hohem Tempo. Um die Richtung zu wechseln, musste man das Umspringen mit neuem Anlauf beherrschen. Wurden die Füße von der Kälte gefühllos, konnte man anschließend kilometerweise auf den Schotterstraßen weiterlaufen, ohne was zu spüren, sodass die Steine nur so flogen. Nach dem Eintritt in die Schule glühten die Füße in allen Farben. Das machte großen Spaß. Es war „megacool“, würde man heute sagen.
Für viele Menschen heute ist es unfassbar. Dasselbe Bild bot sich im gesamten Leben des Dorfes, nahezu zu jeder Jahreszeit: Erwachsene mit Hüten und Wintermänteln im Spätherbst, daneben barfuß laufende Kinder.
Khu hat geschrieben:Dann sagte sie, nach dem Krieg waren sie als Kinder lange barfuss, das war zu Anfang nicht immer lustig, hat ihnen dann aber sehr bald nichts mehr ausgemacht, und solche Füße hätte sie damals zu Letzt gesehen.
Ottomane hat geschrieben:Aus einem Bericht über die 40er Jahre in Alabama (USA) den ich mir mal vor Jahren in der Bibliothek kopiert hatte:
Growing up in late 40s Alabama, shoes were uncommon at best. Children were barefoot most of the time with girls wearing boots in winter. Most boys also did, but my brother and I never bothered, even on snow days - mom encouraged us, telling me it was healthy and saved money. Our feet got numb and chill blaine was common, no attention was paied at all. Like some of the men, dad also had no boots - having been barefoot all his life, he thought of them as rediculous, believing that a good callus on a man's foot would make any kind of shoe unnecessary, laughing about those who would complain that they or the boys would need new shoes...and he worked the coal mine all day long!
Barfußaufgewachsen hat geschrieben:Für die Kinder war das sicher ein Erfolgserlebnis, dass sie auch bei Eis und Schnee barfuß laufen konnten, während die Erwachsenen Schuhe trugen und in Mäntel eingemummelt waren. Gerade in einer Zeit, in der sich Kinder immer unterzuordnen hatten, muss das ein gutes Gefühl gewesen sein. In diesem Bereich waren die Kinder den Erwachsenen überlegen. Sie kamen gut damit zurecht, keine Schuhe zu besitzen. Sie brauchten keine und wollten vielleicht auch keine, weil sie auch im Winter problemlos barfuß laufen konnten.
tiptoe hat geschrieben:Barfußaufgewachsen hat geschrieben:
Ich hüte mich davor, die "gute alte Zeit" allzu sehr zu verklären: Es gab Kinderarbeit, Prügelstrafen, viele heute ausgerottete Krankheiten, mangelhafte gesundheitsversorgung, überhaupt mangel an vielem.
Aber ich denke auch, dass barfußgehen als befreiung angesehen wurde und nicht nur im sommer spaß gemacht hat. Mit den nackten zehen im herbstlaub rascheln oder abdrücke im frischen neuschnee hinterlassen, im schnee herumtoben, bis die zehen rot werden und prickeln. Auch in meiner kindheit in den 1970er/80er jahren kannte ich noch den grundsatz: mit nackten händen lassen sich bessere schneebälle formen und wer kalte finger kriegt, bewegt sich nicht genug (ich kann mich vorstellen, dass das etwas früher auch für die füße galt). Sicher haben viele eltern nicht nur aus wirtschaftlicher not auf schuhe für ihre kinder verzichtet, sondern weil sie wussten, dass barfuß aufwachsen ihnen gut tat und sie stark machte (wie auch sie selbst barfuß aufgewachsen waren).
Aber das ist alles nicht nur "von früher": auch wenn einem heute billigschuhe nachgeworfen werden, wäre es das beste, den kindern von heute genauso den spaß am barfußlaufen zu vermitteln und das nicht nur an heißen sommertagen. Wenn die eltern ihre kinder ermahnen "geh nicht barfuß, du erkältest dich, du kriegst es an der blase, du holst dir erfrierungen", kann es aber nicht dazu kommen, dass die kinder ihre grenzen und auch ihre kältetoleranz mit spaß und ohne zwang erweitern.
Jojo hat geschrieben:Bei uns auf dem Dorf in Niederbayern war das nicht so. Meine Großeltern und meine inzwischen verstorbene Urgroßmutter haben mir das genau erzählt.
In die Sonntagsmesse gingen alle mit Schuhen und mit feinem Gewand/Kleid. Wenn man werktags einfach so in die Kirche ging durfte man das natürlich barfuß. Aber man durfte nicht barfuß in die Sonntagsmesse. Das ist völlig anders wie heute. Ich gehe selbstverständlich barfuß und in kurzer Hose in die Sonntagsmesse.
Niemand durfte im Winter barfuß laufen. Die Eltern wollten auf alle Fälle vermeiden dass man Frostbeulen kriegt.
In den Monaten ohne R waren alle barfuß, also von Anfang Mai bis Ende August waren alle Kinder, Jungs wie Mädels, immer barfuß, außer in der Sonntagsmesse. Man durfte auch davor oder danach barfuß laufen wenn es warm genug war. Es gab tatsächlich einen Wettbewerb zwischen den Jungs wer als erster barfuß gehen durfte und als letzter wieder Schuhe anziehen musste.
Aber eines haben meine Großeltern bestätigt. Die Kinder wollten barfuß laufen. Niemand wollte in der Zeit von Frühjahr bis Herbst Schuhe anhanben.
Jojo hat geschrieben:In die Sonntagsmesse gingen alle mit Schuhen und mit feinem Gewand/Kleid.
tiptoe hat geschrieben:Jojo hat geschrieben:
(Dagegen verbieten es verschiedene religionsgemeinschaften der erde, ihre gotteshäuser mit schuhen zu betreten. Aber religion hatte noch nie viel mit logik zu tun, dafür um so mehr mit tradition.)
tiptoe hat geschrieben:Immerhin gibt es in der öffentlichen wahrnehmung in den letzten jahren einen gewissen bedeutungswandel: Barfuß wird nicht mehr so sehr als armutszeichen oder ungehörig wahrgenommen, sondern zwar immer noch als exzentrisch und unangepasst, aber immer mehr als gesund, wellness, selbstoptimierung. Erst wenn es die meisten als "eh nicht verkehrt" wahrnehmen,
(Die vorstellung, das ganze jahr barfuß leben zu können, ist auch nur eine sportliche herausforderung wie auch andere dinge wie marathonlauf oder das besteigen schwieriger berge: Es erfordert training und eine gewisse begeisterung für die sache .... wird aber mit mehr praxis und übung immer einfacher.)
Barfußaufgewachsen hat geschrieben:Jojo hat geschrieben:Bei uns auf dem Dorf in Niederbayern war das nicht so. Meine Großeltern und meine inzwischen verstorbene Urgroßmutter haben mir das genau erzählt.
In die Sonntagsmesse gingen alle mit Schuhen und mit feinem Gewand/Kleid. Wenn man werktags einfach so in die Kirche ging durfte man das natürlich barfuß. Aber man durfte nicht barfuß in die Sonntagsmesse. Das ist völlig anders wie heute. Ich gehe selbstverständlich barfuß und in kurzer Hose in die Sonntagsmesse.
Niemand durfte im Winter barfuß laufen. Die Eltern wollten auf alle Fälle vermeiden dass man Frostbeulen kriegt.
In den Monaten ohne R waren alle barfuß, also von Anfang Mai bis Ende August waren alle Kinder, Jungs wie Mädels, immer barfuß, außer in der Sonntagsmesse. Man durfte auch davor oder danach barfuß laufen wenn es warm genug war. Es gab tatsächlich einen Wettbewerb zwischen den Jungs wer als erster barfuß gehen durfte und als letzter wieder Schuhe anziehen musste.
Aber eines haben meine Großeltern bestätigt. Die Kinder wollten barfuß laufen. Niemand wollte in der Zeit von Frühjahr bis Herbst Schuhe anhanben.
Danke für den interessanten Beitrag aus erster Hand, also von deinen Großeltern und Urgroßeltern. Das bestätigt Vieles, was ich erfahren und beschrieben habe. Örtliche Unterschiede gab es natürlich. Bei dem Stellenwert, den die Sonntagsmesse für die katholischen Gläubigen auf dem Dorf hatte, ist es klar, dass dabei das feinste vorhandene Outfit getragen wurde, und dazu gehörten eben auch Schuhe. Erstaunlich finde ich eher, dass werktags der Kirchenbesuch barfuß ok war. Ich gehe übrigens auch barfuß zur Kirche, bin allerdings evangelisch.
Das Barfußlaufen im Winter war sicher nicht der Normalzustand in jeder Gegend. Wenn es machbar war, hatten die Kinder wahrscheinlich irgend etwas an den Füßen, auch wenn es nur noch entfernt nach Schuhen aussah und viel zu klein oder zu groß war. Besser für die Füße als Barfußlaufen war das bestimmt nicht, und es sollte wahrscheinlich auch eher dem guten Ruf der Eltern dienen, die nicht ihre Armut zur Schau stellen wollten. Die Kinder hätten wahrscheinlich gern auf diese oft unbequemen und ungesunden Schuhe verzichtet. Es gibt jedenfalls auch Berichte von Kindern, die überhaupt keine Schuhe besaßen und deshalb natürlich das ganze Jahr barfuß liefen, auch im Winter oft weitere Strecken durch den Schnee. Ich nehme an, ihren Füßen ging es nicht schlechter als denen in zu engen oder zu weiten, starren alten Schuhen. Alles, was ich gehört und gelesen habe, spricht auch dafür, dass die Kinder sehr gern barfuß gelaufen sind, obwohl sie es aus Armut oder Sparsamkeit mussten. Wenn sie die Wahl gehabt hätten, hätten sie sich auch selbst fürs Barfußlaufen entschieden.
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