Re: Wie Barfußkinder in Dörfern früher ihre Sohlen abhärtete
von Zeitungsjunge » Di 13. Apr 2021, 13:02
In einer netten Geschichte erzählt Babette Reineke von den Sommerferien 1939, die sie als Stadtkind bei ihren Großeltern in dem fränkischen Dorf Allertshausen zwischen Bamberg und Coburg verbrachte. Dort begleitete sie den Nachbarsjungen Rudi, der die Gänse hütete und natürlich immer barfuß lief. Entsprechend abgehärtet waren seine Fußsohlen, und er dachte sich gar nichts dabei, die Gänse über abgeerntete Getreidefelder zu treiben. Auf den Stoppeln ging er wahrscheinlich so selbstverständlich barfuß wie auf der Dorfstraße. Für das Stadtmädchen war das erste Barfußlaufen auf dem Stoppelfeld ein "Kulturschock". Es ist nett zu lesen, dass sie sich davon nicht abschrecken ließ und weiter barfuß lief, so dass auch ihre Fußsohlen bald abgehärtet waren:
"Aus diesem Grunde machte ich mich mit Rudi auf die Socken, als er „sei Wiewelich“ (seine Gänseschar) aus der Toreinfahrt trieb. 'Muß heit Gäns hütn. Traust dersch un gestmiet?' Und ob ich mich traute! Wenn mir auch insgeheim schierdie Haare zu Berge standen, da sie jedoch in Zöpfe geflochten waren, blieb das allein mein Geheimnis. So versuchte ich also tapfer, mit einer Weidenrute die laut schnatternde Gesellschaft in Schach zu halten. Zugegeben, das war nicht schwer, denn die Gänse wußten genau, wo’s langgeht und folgten 'Rudiralla' auf dem Fuße, Barfuße genauer gesagt. Damit meine ich nicht nur das Federvieh. Dies folgte fröhlich trompetend und flügelschlagend unbeirrt seinem unablässigen 'Wieh, wieh, wiehelaha, wieh, wieh, wiehelaa!', dem Schlacht-, pardon, Lockruf aller Gänsehirten, einem auf und abschwingenden, sich ewig wiederholenden Singsang.
Endlich waren wir am 'Lochranger' angekommen. Das Getreide war eingefahren und auf den Stoppeln lagen noch reichlich Ähren, die dem Rechen entgangen waren. Alles in allem so recht ein Ort zum Gänsehüten, die davon bis Sankt Martin schön dick und rund werden würden. Das Hüten aber war Sache der Jüngsten im Dorf, der Kinder also. Sie mußten schon recht früh mit zupacken, und das war noch eine der leichtesten Übungen damals. Warum sollte das ein Stadtkind nicht auch können?
Vor den Erfolg aber hatte mein gestrenger 'Herr und Meister' eine harte Probe gesetzt. Wie üblich, mußte auch ich nun barfüßig über die Stoppeln 'hoppeln'. Auweia, meine zarten Fußsohlen, wie sie brannten und der Schmerz mir die Tränen in die Augen trieb! Dennoch, ich trieb manch widerspenstiges Gänschen zurück auf den rechten Weg oder verscheuchte den lästigen Hühnergeier, der beutegierig und mit gräßlichem Gekreische hoch über uns seine Kreise zog. (...)
Im Unterschied zu Rudirallala aber hatte ich am Ende ziemlich zerfetzte Fußsohlen und Blasen an den Zehen. Es war und blieb mir schleierhaft, wieso der Lausbub so flink und frei über die Stoppeln sprang und nicht ein bißchen von ihnen gepiekst wurde. Nie und nimmer konnte das mit rechten Dingen zugehen, meint ihr nicht auch?
Rudi aber lachte mir nur ins Gesicht. 'Herrschaftseiten, machst du a Gscheiß! A jed’s Kindla bei uns koo’s schoo!' Leicht verstört sah er sich die Bescherung an und murmelte etwas kleinlaut: 'Dacht i mersch doch glei, für Stodtleit is fei nix. Am wengsten für kleena Mädlich!' Haste da noch Töne? Ich jedenfalls hatte noch lange an der Sache zu knabbern,wenn ich auch in der Achtung unseres Nachbarjungen gestiegen – weil nicht abgesprungen – war. Gelernt hab ich allemal daraus, denn Übung macht den Meister und abhärten tut sie auch. Inzwischen gehe auch ich – ganz ohne Schmerzen, mit frohem Herzen – barfuß übers Stoppelfeld!"